Leitprojekt MED²ICIN
Künstliche Intelligenz verknüpft Gesundheitsdaten sinnvoll und gibt Medizinerinnen und Medizinern sowohl Diagnosehinweise als auch Therapieempfehlungen.
Mit wenigen Klicks zur optimalen Prävention, Diagnose und Therapie – darauf zielt das Leitprojekt MED²ICIN ab. Die Fraunhofer-Institute implementieren und evaluieren aktuell einen Prototyp im Bereich der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), und zwar am Universitätsklinikum Frankfurt am Main.
Patientendaten wie Anamnesegespräche, MRT-Aufnahmen, Laboruntersuchungen oder Therapieverläufe werden in den Krankenhäusern heutzutage immer besser digital erfasst und vorgehalten. Oft sind diese Daten aber nicht greifbar und liegen unstrukturiert vor. Sieben Fraunhofer-Institute arbeiten im Rahmen des Leitprojekts MED²ICIN an genau diesem Problem. »Mit dem Prototyp eines digitalen Patientenmodells betreten wir nun eine neue Ära bei der Behandlung der Patientinnen und Patienten«, sagt Dr. Stefan Wesarg, Koordinator von MED²ICIN und Leiter der Abteilung Visual Healthcare Technologies am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD.
Das Leitprojekt MED²ICIN verbindet alle Gesundheitsinformationen einer Patientin oder eines Patienten miteinander und gleicht diese mit Parametern aus Populationsstudien und Daten spezifischer Krankheitsbilder wie Diagnostik, Krankheitsverlauf, Medikation oder Therapien anderer Betroffener ab. Klinische Leitlinien und gesundheitsökonomische Aspekte berücksichtigend, entsteht so ein ganzheitliches digitales Patientenmodell.
Das Universitätsklinikum Frankfurt am Main arbeitet bereits mit dem digitalen Abbild. Hier wird das Modell unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr. med. Frank Behrens am Beispiel chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED) evaluiert und implementiert. Dazu liegen in Frankfurt Daten von mehr als 600 Betroffenen mit 170 verschiedenen Gesundheitsparametern vor. »Die KI hilft uns, schneller die Patientin und den Patienten in ihrer beziehungsweise seiner Komplexität zu erfassen und so die beste Therapie für Menschen mit chronischen Erkrankungen zu finden«, erläutert Frank Behrens. Die ersten Praxistests seien vielversprechend. Das digitale Patientenmodell erspare den Ärztinnen und Ärzten enorm viel Zeit, da es nicht nur sämtliche medizinischen Daten von Patienten zentral erfasst, sondern auch auswertet und übersichtlich präsentiert. So ist beispielsweise angedacht, mithilfe Künstlicher Intelligenz im Lauf der Jahre angefertigte Aufnahmen des Darms miteinander zu vergleichen und aufzuzeigen, in welchen Punkten sich die Bilder unterscheiden.
Mit dem Universitätsklinikum Frankfurt am Main zusammenzuarbeiten, bietet den Fraunhofer-Instituten den großen Vorteil, direkt Feedback von Medizinerinnen und Medizinern zu erhalten. So kann die Software gezielt auf die Wünsche und Fragestellungen derjenigen eingehen, die das System später einsetzen werden. Vor allem bei chronischen Erkrankungen ist es sinnvoll, das digitale Patientenmodell zu verwenden, grundsätzlich lässt es sich aber für viele Bereiche adaptieren. Im späteren Verlauf sind auch niedergelassene Fachärztinnen und Fachärzte eingebunden, und die Patientinnen und Patienten sollen ebenfalls Zugang erhalten. Gleiches gilt für Forschungsinstitute oder Krankenkassen. Für diesen breiten Nutzen wollen die Fraunhofer-Forschenden die Lösung gemeinsam mit Life-Science-Unternehmen und Technologieprovidern in der Health IT vermarkten.
»Mit dem digitalen Abbild einer Patientin oder eines Patienten lassen sich nicht nur enorme Verbesserungspotenziale für die Behandlung von Einzelpersonen erreichen«, sagt Stefan Wesarg. Auch gesamtgesellschaftliche Gesundheitsausgaben besser einzusetzen, werde möglich, wobei ein intelligenter Ressourceneinsatz von zentraler Bedeutung sei angesichts des herausfordernden demografischen Wandels. Technologiegetriebene Innovationen wie das Fraunhofer-Leitprojekt MED²ICIN helfen, die stetig steigenden Kosten im Sinne einer bestmöglichen Behandlung der Betroffenen zu nutzen. Das Leitprojekt geht weit über bestehende Digitalisierungsprojekte wie zum Beispiel das der elektronischen Patientenakte oder der Krankenhausinformationssysteme (KIS) hinaus, indem MED²ICIN auf einen Datenpool ähnlicher Fälle zurückgreift.
MED²ICIN bereitet die Daten auf und visualisiert sie in einem modularen Dashboard. Die Oberfläche haben die Entwickelnden derart gestaltet, dass sie intuitiv zu bedienen ist und alle Nutzenden sie individuell anpassen können. So ist zum Beispiel auch ein 3D-Modell des menschlichen Körpers mit dessen Organsystem integriert, wobei der Detaillierungsgrad der angezeigten Informationen beim Leitprojekt MED²ICIN noch viel höher ist, als 3D-Modelle es ermöglichen. Mit dem Dashboard erhält das medizinische Fachpersonal demnach eine umfangreiche datengestützte Entscheidungshilfe, um die beste Therapie einleiten zu können.
Die Entwicklung von MED²ICIN erfolgt unter strenger Einhaltung der europäischen Datenschutzgrundverordnung. Alle Daten werden pseudonymisiert und lassen keinerlei Rückschlüsse auf einzelne Personen zu. Nach den ersten erfolgreichen Tests steht nun die Weiterentwicklung des digitalen Patientenmodells und die Suche nach IT-Partnern an, welche die Lösung für Krankenhäuser implementieren können.