In der Produktentwicklung, der Herstellung und der Logistik lassen sich häufig nicht alle Zielgrößen gleichermaßen optimieren. Die Verantwortlichen können sich allerdings unterstützen lassen, verschiedene Optionen gegeneinander abzuwägen, bei gegenläufigen Kriterien zügiger den besten Kompromiss zu finden und diesen transparent zu kommunizieren – wenn sie eine interaktive Visualisierung nutzen.
Produkte zu entwickeln, wird immer anspruchsvoller, denn die Qualitätsanforderungen steigen, und Kriterien wie Nachhaltigkeit und Energieeffizienz sind zu berücksichtigen. Häufig existiert bei multidimensionalen, komplexen Problemen keine Lösung, bei der alle Zielgrößen gleichermaßen ihren Bestwert erreichen. Stattdessen gibt es eine Reihe sogenannter Pareto-optimaler Zustände: Eine Eigenschaft kann nicht weiter verbessert werden, ohne eine oder mehrere andere zu verschlechtern. Wie alle Parameter und Merkmale des geplanten Produkts auf komplexe Art und Weise zusammenspielen, vermag eine Visualisierungssoftware sichtbar zu machen. Das Fraunhofer IGD hat in enger Zusammenarbeit mit dem Linz Center of Mechatronics (LCM) das interaktive Tool PAVED (Pareto Front Visualization for Engineering Design) entwickelt. Es visualisiert Zusammenhänge zwischen den einzelnen Kriterien effektiv und bietet so eine verlässliche Entscheidungsgrundlage: Wie ließe sich eine alternative Variante eines Produkts designen? Transparente und leicht verständliche Vergleiche erleichtern es zudem, sich mit den Kunden abzustimmen. Die Visualisierung beschleunigt so den gesamten Prozess der Produktentwicklung.
Alle Produktparameter in einer interaktiven Visualisierung
Als die Software entwickelt worden ist, stand im Vordergrund, Elektromotoren zu optimieren. Basis waren die technischen Daten und die mathematischen Simulationen des Forschungspartners aus Linz. Elektromotoren erwiesen sich als ein gutes Beispiel, da es sehr viele Stellschrauben gibt, die sich auf Zielgrößen wie Effizienz, Leistung, Laufruhe oder Kosten auswirken, und dies ist nicht ohne Weiteres intuitiv erfassbar. Die PAVED-Visualisierung zeigt in Form exakter Kurvengrafiken, wie die einzelnen Parameter zusammenwirken und was genau passiert, wenn man einen Wert verändert. Das geht ganz einfach durch stufenloses Verstellen eines Schiebereglers. Die Software zeigt in Echtzeit an, wie ein veränderter Wert die jeweils anderen Kriterien beeinflusst – die Software spielt also verschiedene Was-wäre-wenn-Szenarien für die Designvarianten durch. Interessenskonflikte zwischen einzelnen Werten lassen sich sofort erkennen. Erhöht man etwa die gewünschte Motorleistung, steigen damit auch die Kosten. Um bei den vielen möglichen Designalternativen den Überblick zu behalten, lassen sich in der Software einzelne, in die engere Wahl kommende Varianten als Favoriten definieren und farbig markieren. Dadurch bleiben diese Varianten in der Darstellung immer sichtbar.
Visualisierung macht versteckte Zusammenhänge sichtbar
Das Tool ersetzt keineswegs das Know-how der erfahrenen Ingenieurinnen oder Ingenieure. Vielmehr unterstützt es sie dabei, ihre Expertise und Erfahrungen möglichst effizient einzusetzen, indem sie unkonventionelle Ideen direkt am Bildschirm ausprobieren können. »Hier kommt es oft auf Nuancen an. Eine kleine Änderung an einem bestimmten Wert – und sei es nur die Wandstärke des Materials an einer bestimmten Stelle – kann sich unvorhersagbar auf andere Parameter auswirken«, erläutert Projektleiterin Lena Cibulski. Das Visualisierungstool macht also auch versteckte Zusammenhänge sichtbar, mit denen die Expertinnen und Experten im Vorfeld gar nicht gerechnet haben.
Transparente Kommunikation der Alternativen
Die Visualisierung hilft nicht nur bei der Entwicklungsarbeit, sie unterstützt auch dabei, vor Kunden oder dem Management des Unternehmens zu präsentieren, denn man kann auf einen Blick sehen, welche Optionen sich bei der Entwicklung anbieten. »Die eine beste Lösung gibt es dabei nicht«, sagt Cibulski. Es sind nur eine Reihe von Designvarianten mit jeweils anderen Eigenschaften und Leistungsmerkmalen möglich – darüber müssen die Verantwortlichen je nach Prioritätensetzung entscheiden. Dass die Software intuitiv zu bedienen ist, befähigt auch Außenstehende, sich selbst einen Überblick über die möglichen Alternativen und den bestmöglichen Kompromiss zu verschaffen. Die Software funktioniert lokal oder webbasiert. Kunden oder Geschäftspartner müssen zum Starten lediglich einen Link aufrufen und können dann selbst alle Produktvarianten vergleichen und bewerten. Das erleichtert die Kommunikation und verkürzt Abstimmungswege. Dieser Mehrwert kann auch anderen Branchen zugutekommen. »Sinnvoll ist der Einsatz unserer Software überall da, wo sehr viele Designvarianten und teilweise unvereinbare Qualitätskriterien im Spiel sind, die einen Kompromiss erfordern«, erklärt Cibulski. Als Beispiele nennt sie die Planung von Energieversorgungskonzepten für ein Gebäude oder die Entwicklung komplexer Produktionsanlagen in einer Fabrik. Und obwohl PAVED für die Ingenieursarbeit entwickelt wurde, kann eine solche Visualisierung auch anderen Personen mit Entscheidungsbefugnis in Gesellschaft und Politik helfen, Konsequenzen abzuwägen und bessere Entscheidungen zu treffen.