Digital Ocean Lab

Das Labor unter dem Meeresspiegel

In Sichtweite des Strandes von Nienhagen bei Rostock ragt ein gelbes Gerüst aus der Ostsee. Am Fuß dieser Plattform, in mehr als zehn Metern Tiefe, liegen hunderte Elemente aus Naturstein und Beton. Dieses künstliche Riff diente bisher in erster Linie der Fischereiforschung. Doch nun entsteht ein einzigartiges Testfeld für die Meerestechnik, nur etwa anderthalb Kilometer vom Ufer entfernt. Bisher gibt es nirgendwo auf der Welt eine Möglichkeit so nahe dem Festland, neue Unterwasser-Technologien auszuprobieren. Das Digital Ocean Lab, betrieben vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Rostock, schließt diese Lücke. Breitbandverbindung sowie Stromversorgung des Unterwassertestfeldes sind durch den Anschluss auf der Plattform sichergestellt. Im Laufe der Zeit werden anwendungsnahe Szenarien aufgebaut. Mit Sensoren kann dann geprüft werden, wie sie funktionieren und wie sie sich auf die Umwelt auswirken. Sogenannte Unterwasser-Gärten sollen weitere vielfältige Forschungen ermöglichen.

 

Reale Testumgebung mit Historie

Das künstliche Riff vor Nienhagen besteht bereits seit 18 Jahren, um verschiedene Fragestellungen der Fischerei- und Meeresforschung in situ – also in einer realen Umgebung – untersuchen zu können. Eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg- Vorpommern (LFA) als Betreiberin und dem Fraunhofer IGD in Rostock machte den Weg frei für meerestechnologische Forschungen. »Die ohnehin vorhandenen Strukturen nun auch über die Fischerei- und Meeresbiologie hinaus für technische Erprobungen zu nutzen, lag auf der Hand. Synergien werden erschlossen und gemeinsam ganz neue Lösungsansätze für drängende Herausforderungen der Gesellschaft gefunden«, erläutert Gerd-Michael Arndt, Leiter des Instituts für Fischerei der LFA.

 

Viele Testszenarien möglich – in situ und virtuell

Die technische Ausstattung der Forschungsplattform legt den Grundstein für verlässliche Messreihen. Dank Solarenergie und Windenergie ist die Plattform autark mit Strom versorgt, und auch die Internetverbindung ist gesichert – entscheidende Details, wenn es darum geht, Technologieanbieter und Forschungseinrichtungen vom Unterwasserlabor als Ort für ihre Testreihen zu überzeugen. Ein eigener Techniker kümmert sich um die Plattform und deren Anschlüsse, vorausgerüstet für alle gängigen Sensoren und Surveytechnik. Durch das Partnernetzwerk im Ocean Technology Campus Rostock kann das Fraunhofer IGD auch auf Boote unterschiedlicher Größe zugreifen, um die Technik für Tests und Messreihen aus- und einzubringen, und kann diese ebenfalls an Partner und Kunden vermitteln. Damit will sich das Digital Ocean Lab tatsächlich von anderen Testmöglichkeiten abheben: Stück für Stück erstellt das Team auf Basis der hochauflösenden Echolotdaten des Multibeam ein virtuelles Abbild des Unterwassertestfelds. Ergänzt um sensorische Angaben, Strömungsdaten etc. entsteht so ein Digitaler Zwilling des Reallabors, das sich damit den Zusatz »digital« überhaupt erst verdient. Unternehmen und Forschungseinrichtungen können neue Technik oder Sensorik zunächst vielen virtuellen Testschleifen und Simulationen unterziehen, bevor es an die aufwendigen Vor-Ort-Versuche geht. Die Simulationslösung RISTRA des Fraunhofer IGD ermöglicht extrem schnelle Simulationen, indem sie Rechenprozesse auf die Grafikkarte verlagert (mehr zu RISTRA lesen Sie hier).

 

Erste Tests erfolgreich absolviert

Testreihen verschiedener Art werden im Digital Ocean Lab bereits durchgeführt. So unterzieht z. B. das Rostocker Start-up Framework Robotics GmbH seine 3D-gedruckten Rahmenbauteile für Unterwassersensorik wichtigen Tests in Realumgebung. Das Team des Digital Ocean Labs unterstützte das Projekt MiRo-Base bei Praxistests für ein neues modulares ROV-System. Auch die Fraunhofer-eigene Forschungsgruppe »Smart Ocean Technologies« nutzt das Testfeld. Ein Projekt will die Mikroplastikkonzentration in den Weltmeeren automatisch bestimmen und platziert Proben im Digital Ocean Lab, um später Hard- und Software zu entwickeln und zu testen, die Mikroplastik erkennen und analysieren können. In Zukunft arbeiten am Rostocker Fischereihafen bis zu 25 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interdisziplinär an zukunftsweisender Meerestechnik. Zum Aufbau der personellen Strukturen für die Forschungsarbeiten im Digital Ocean Lab hat der Bund bereits 2018 acht Millionen Euro an Projektmitteln bewilligt, das Land Mecklenburg-Vorpommern weitere fünf Millionen Euro. Während der voraussichtlich zwei Jahre dauernden Kooperationsphase bleibt die LFA Betreiberin des Bereichs rund um das künstliche Riff, das Land Mecklenburg-Vorpommern Eigentümer. Im Anschluss ist geplant, die Strukturen und Nutzungsrechte an das Fraunhofer IGD zu übergeben.